Im Gespräch mit: Markus Reuter
Kaffee-Afficionado und Gründungsmitglied von „Third Wave Wichteln“
Kaffee verbindet Menschen auf der ganzen Welt – so weit, so gehabt. Aber wie wäre es, wenn Kaffeefreunde aus der ganzen Welt ihren liebsten Kaffee untereinander tauschen? Das fragten sich auch Markus Reuter, André Krüger und Thorsten Keller und entschlossen sich kurzerhand, genau das in die Tat umzusetzen. Ausgehend von der deutschen Weihnachtstradition des „Wichtelns“ startete die Initiative Third-Wave-Wichteln und Blog zum Thema Third Wave Weihnachten 2013 zum ersten Mal und ist in den letzten drei Jahren immer größer geworden. In der zugehörigen Facebook-Gruppe tummelt sich das Who-is-Who der Szene, man tauscht sich über die tollsten Cafés und Röstereien der Welt aus und mittlerweile wird auch unterm Jahr von Sydney über Singapur bis Stockholm gewichtelt. 1572 Genießer aus 53 Ländern sind Teil des Wichtelns. Wir sprachen mit Markus auf dem Amsterdam Coffee Festival über diesen erstaunlichen Erfolg und was er über Kaffeefreunde heute sagt.
Kaffee‐Love-Story
Kaffee ohne Worte
Ein Morgen ohne Kaffee ist…
Eine Welt ohne Kaffee ist…
Wie reagierst du auf schlechten Kaffee?
Was denkst du über Kaffee mit Milch und Zucker?
Markus, schön, dass wir uns in Amsterdam treffen. Was würdest du als deine persönliche Kaffee-Philosophie bezeichnen?
So gut wie möglich! Und zwar aus der Perspektive der Qualität, des Anbaus, des Röstens, des Handelns und der Zubereitung. Vor allem bei dieser kann ich viel machen und es ist die Wertschätzung eines Produkts an dem so viele Menschen mitarbeiten und wenn man das nur „panschen“ oder in die Maschine reinklopfen würde, dann mangelt es meiner Meinung nach am Respekt für die harte Arbeit der beteiligten Menschen.
Kaffee‐Biographie
Wie bist du zum Kaffee gekommen? Denn hauptberuflich bist du ja in einem ganz anderen Feld unterwegs…
Ja, ich bin eigentlich bei der Deutschen Telekom und arbeite im Innovationsforum, wo wir uns überlegen, wo die Reise der Telekom hingeht und welche Produkte entwickelt werden sollen. Das hat natürlich nicht viel mit meinem Kaffee-Dasein zu tun. Aber ich interessiere mich schon immer sehr für kulinarische Dinge, Genuss, gutes Essen, Trinken, Drinks, Wein, Cocktails. Ich habe lange, lange keinen Kaffee getrunken bis ich vor knapp 6 Jahren in London war und bei einem Food Market. Dort haben sich die Leute bei einer Rösterei über eine halbe Stunden lang angestellt und ich wollte wissen, warum man das macht. Habe mich also auch angestellt und gemerkt, wie gut Kaffee schmecken kann! Das heißt nicht nur schwarz, verbrannt, veröstet sondern mit Fruchtigkeit und ganz anders, schon ähnlich wie Tee. Das war was für mich. Ich habe angefangen mit einem Keramikfilter und mit Omas Mühle gemahlen. Ich habe also viel rumprobiert und kam so langsam rein in das Feld des Spezialitätenkaffees. Und in Düsseldorf, wo ich lebe, gibt es auch einige Spezialitätenröstereien. Schließlich kam die spontane Idee des Wichtelns und ich bin immer weiter „reingestolpert“, sozusagen.
Zum Wichteln kommen wir gleich. Kaffee hat demnach auch eine sehr persönliche Bedeutung für dich und deinen Lebensstil. Auch in Hinblick auf die Wertschätzung eines Produkts, den Wandel in der Szene, und das „Mindset“, das damit einhergeht: Wo meinst du kommt diese massive Veränderung in der deutschen Kaffeewelt der vielleicht letzten 5 Jahre her?
Ich glaube, dass es den Leuten gerade beim Essen viel wichtiger geworden ist, wo es herkommt und wie die Qualität ist. Gott sei Dank – weg von Convenience und Billigprodukten. Auch durch Kochshows, durch die sich die Leute viel mehr dafür interessieren. Das sehe ich auch bei uns, wo der Metzger wieder gut besucht ist und auch der Markt immer voll ist, was natürlich insgesamt auch wirklich gut ist, denn es macht einen Unterschied. Nicht nur, dass die Leute vernünftig essen, sondern auch die Wertschätzung für das reine Produkt wieder da ist. Eine normale Kartoffel statt der Tiefkühlpommes! Es geht da auch viel um Selbermachen und Auseinandersetzung mit den Dingen. Wo es das früher vor allem beim Wein gab, schwappt das auch zum Kaffee über.
Siehst du das problematisch im Hinblick auf die Situation in den Anbauländern? Dort, wo es nach wie vor, auch im Fair Trade das Problem gibt, das mehr Geld nicht immer auch gerechtere Löhne bedeutet? Dort, wo die Menschen von Wein- und Kaffeeverkostungen nur träumen können? Oder ist diese Veränderung hier genau das, was es auch für die Veränderung dort braucht?
Nun, ich hoffe es, dass es so funktioniert. Es ist klar, wenn man Kaffee von einer großen Kette kauft, dass diese viel über Dumping-Preise kaputt machen, um billig zu bleiben. Selbiges sehen wir ja auch bei Kleidung. So etwas würde ich nie tragen, wie sollte ich da Massenkaffee konsumieren, wo ich weiß, wie viel er auf dem Markt kaputt machen kann? Und ich hoffe sehr, dass die Bewegung [Third Wave, Anm. d. A.] ermöglicht, dass mehr Menschen sich dessen bewusst werden und bei fairen, kleinen Röstereien einkaufen. Auch wenn sie sehr klein ist: gerade durch Direct Trade ist jedem einzelnen Bauern geholfen, wenn er direkten Kontakt mit den Röstereien hat. Damit einhergehen ja auch viele Bildungs- und Brunnenprojekte zum Beispiel. Gleichsam ist damit auch die Qualität gesichert. Ich hoffe sehr, dass die Third Wave Bewegung bald auch prozentual mehr auf dem Markt ausrichtet und noch mehr passieren wird.
In dieser großen Welle ist ja letztlich auch Third Wave Wichteln eingebettet. Was ist eure Grundidee?
Basierend auf der Idee des Wichtelns werden verschiedene Leute zugelost und schenken sich gegenseitig etwas. Und die Geschenke sollen bei uns 250g-Packungen von Third Wave bzw. Filterkaffee sein. Die Personen werden dabei zugelost. Da entsteht eine wahnsinnige Vielfalt.
Zunächst wollen wir das in Deutschland über eine kleine Plattform machen, das war 2013. Allerdings hat sich das Projekt über viele Plattformen, vor allem Social Media so schnell verbreitet, dass sich innerhalb der ersten drei Wochen 460 Leute aus 25 verschiedenen Ländern angemeldet haben. Die Idee kam super an, auch weil die Idee so simpel ist und das Investment nicht groß ist. Man kauft Kaffee für 10-20€ und hat noch Versandkosten. Mehr nicht. Dafür hat man aber die Spannung und Überraschung ganz neuen Kaffee zu bekommen. Da macht dann gerade das internationale viel Spaß. Zum Beispiel Kaffee aus Hawaii nach Japan zu schicken. Das ist toll. Wir haben nicht nur die ganze Welt miteinander verknüpft haben, sondern auch verschiedene Aktive in der Kaffeewelt: Bauern, Importeure, Röster, Baristi, Kaffeeliebhaber. Da baut sich gerade eine richtige Community auf. Da haben selbst Leute wie James Hofmann, Kalle Freese und Tim Wendelboe mitgemacht, die diese Third Wave antrieben, deren Vordenker sind und im Rahmen von Third Wave Wichteln auch mit absoluten Laien zusammen kommen. Zum Beispiel Teilnehmer aus dem Iran, die damit zum ersten Mal mit der Szene in Berührung kamen. Es ist riesiges Interesse da, und man lernt dabei auch unglaublich viel.
Ihr seid ja ein Team aus drei Kaffee-Afficionados. Wie habt ihr zusammen gefunden?
Ich arbeite mit André Krüger und Thorsten Keller aus Hamburg an dem Projekt. Wir kennen uns nur, weil wir uns online auf verschiedenen Social-Media-Plattformen folgen. Genau vor zwei Jahren habe ich dann ein Foto von Thorsten kommentiert und vorgeschlagen, Kaffee per Wichteln zu tauschen. Und das haben wir einfach gemacht, statt nur zu sagen: ‘Ja, müsste man mal’. Ich hab mich hingesetzt, einen Tumblr fürs Wichteln aufgemacht und per Google ein Tool gebaut, um die Adressen der Leute zu sammeln und zusammen zu losen. Wie gesagt, ist es dann ja schon im ersten Jahr explodiert. Wir wussten erstmal gar nicht, wie wir die alle zulosen sollten. Daher haben wir 2013 noch ein ganzes Wochenende damit verbracht, manuell zu zu losen und individuelle Mails zu schreiben. Wir saßen da 72 Stunden durchgehend dran. Das Interessante war, dass ich André einmal persönlich auf einem Social-Media-Event getroffen habe, Thorsten das erste Mal gestern, aber wir waren noch nie zu dritt an einem Ort. Das läuft alles über das Web. Es gibt auch keine Hierarchie. Jeder arbeitet an dem, was gerade zu tun ist und es funktioniert sehr unkompliziert. Denn es ist ein Spaß- und Leidenschaftsprojekt für alle, das uns verbindet.
Kaffee-Philosophie
Das ist ja das Faszinierende, oder? Das es oft nicht nur um den Kaffee geht, sondern auch viel mit Design, Ästhetik und einem ganzen Lebensgefühl zu tun hat.
Ja!
Gehts dir auch so? Wie würdest du dieses Lebensgefühl beschreiben, das mit Third Wave einhergeht? Auch dieser ganz bestimmte Kleidungsstil zum Beispiel …
[lacht] hm, ja, der Bart.
Ja, auf jeden Fall. Auch diese Art sich zu präsentieren, sich zu unterhalten, in dieser eigenen kleinen Welt.
Ja, es ist wirklich eine eigen Welt, die aber sehr offen ist. Ich habe selten, auch hier auf dem Festival, so viele Leute kennen gelernt, die so herzlich und offen miteinander umgehen. Das ist schon fast eine kleine Utopie. Weil die Leute sehr daran interessiert sind, die Bewegung voranzubringen und anderen etwas beizubringen. Deswegen auch die vielen öffentlichen Cuppings und Lehrgänge. Dieses Interesse am Austausch ist die Grundlage für alles. Das sehe ich ja auch in unserer Facebook-Gruppe: Da fragt einerseits der Laie nach der besten Art Kaffee aufzubewahren, andererseits aber auch der Experte, der sich darüber austauscht, ob man Single Shot Baskets für Espresso benutzen sollte. Da wird keiner außen vor gelassen. Auch bei schienbar simplen Fragen, wir mit Leidenschaft und Commitment geantwortet. Ähnliches lässt sich ja momentan in der Craft-Beer-Szene beobachten, oder in der Design-Szene. Da kommen Leute mit gemeinsamem Interesse zusammen und haben Bock, sich darüber auszutauschen. Da gibt es natürlich viele Überschneidungen. Man assoziiert es ja auch mit der Hipster-Welle. Aber ich glaube, es ist viel mehr. Ich glaube, es geht darum, dass die Leute Bock haben auf ein Thema und sich dann mehr als oberflächlich damit beschäftigen. Früher gab es Tupperware-Partys und so etwas, oder Strickclubs und heute ist die Vernetzung über Social Media noch leichter. Es geht dabei immer darum, dass Menschen sich vernetzen.
Würdest du soweit gehen zu sagen, Spazialiäten-Kaffee ist ein neuer Dreh- und Angelpunkt für Veränderungen im Alltag, auch gesellschaftlich?
Für mich auf jeden Fall. Da steht eine Idee dahinter. Die Idee, mehr zu machen, als ein Produkt einfach nur zu verkaufen. Es geht viel um Qualität, darum, für andere etwas gutes zu tun. Deshalb war das schönste Kompliment, dass ich bekommen habe beim Wichteln auch das, bei der Teilnehmerbefragung, wo jemand meinte: Ihr solltet den Friedensnobelpreis bekommen! Das hat uns natürlich unheimlich geschmeichelt. Jeder bekommt eben, weil er auch selbst gibt. Keiner verdient damit etwas. Es geht um die Sache an sich. Das hat für mich auch viel mit Gutherzigkeit zu tun.
Kaffee-Zukunft
Wo glaubst du, geht es mit der Kaffeewelt hin?
Also wenn man sieht, was die Großen der Third Wave, wie Intelligentsia oder Blue Bottle, machen, welche Investorengelder die bekommen. Wenn sie die Qualität halten können, wäre das großartig, weil die Konzepte dahinter ja positive Veränderung für alle Beteiligten bedeuten. So auch in deutschen Läden, bei denen Spezialitätenkaffee eine viel größere Reichweite hat. Wo auch Leute, die sonst nur ihren Caramel-Macchiato trinken, in ein Café kommen und auf Filterkaffee stoßen. Und den auch mal ohne Milch und Zucker probieren und merken, wie gut das schmeckt. Ich denke, da werden in den kommenden Jahren noch viel mehr auf diesen Zug aufspringen. Aber man sieht auch, dass die Markt-Giganten versuchen, specialty coffee in Massen aufzukaufen oder single origins anzubieten. Das zeigt, dass auch die merken: Da verändert sich was, die Käufer achten mehr darauf, wo der Kaffee herkommt und unter welchen Bedingungen er angebaut wurde. Wenn sie damit einhergehend auch mehr zahlen, wenn sich die Idee auch dort durchsetzt, dann ist da nichts dagegen zu sagen. Ich hoffe, dass es eben nicht nur bei Marketingversprechen bleibt, sondern durch die Gesamtveränderung auch dort etwas passiert. Ich hoffe, es bleibt nicht nur ein Trend, aber das ist schwer zu sagen.
Und wo geht es mit Third Wave Wichteln hin?
Wir wissen es nicht, aber wir machen auf jeden Fall weiter. Wir sind auch vollkommen offen, für alle Richtungen. Beim Amsterdam Coffee Festival haben wir ja zum Beispiel die European Brew Fight Night, als kleine After-Festival-Party organisiert, um das ganze auch in die analoge Welt zu holen. Wo sich die Leute statt online auch im real life treffen können. Wir hatten auch schon gemeinsame Cuppings, wo man den erhaltenen Kaffee gemeinsam probiert.
Für November ist das nächste große Wichteln geplant und gucken wir mal, was passiert. Aber es ist toll, dass das Interesse so groß ist, Interviewanfragen kommen und neue Ideen kommen. Solange es zur Idee passt, freuen wir uns darüber. Wir wollen eben keinesfalls kommerzialisiert werden. Wir investieren da sehr viel Zeit und Arbeit, aber es geht überhaupt nicht darum, daraus Geld zu machen. Solange wir Spaß daran haben und das gut läuft, sind wir glücklich damit.
Abschließend: Was ist deine magische Formel für die perfekte Tasse Kaffee?
Meiner magische Formel? Ganz unterschiedlich. Ich experimentiere ganz viel mit jedem neuen Kaffee, um zu sehen, wie ich das beste rausholen kann. Das finde ich ist das Faszinierendste am Kaffee: Du brühst ihn fünf mal und änderst nur Kleinigkeiten, aber jedes Mal schmeckt er anders!
Welches ist eine Kaffee-Erfahrung, die du unbedingt noch machen möchtest?
Ich möchte unbedingt mal zwei, drei Wochen in die Anbauländer reisen, auf der Farm mitarbeiten und direkt vor Ort sehen, wo mein Kaffee herkommt und wie sich die Arbeit anfühlt. Ich will zum Ursprung der Produktionskette zurückgehen und selber sehen, was da passiert. Das will ich unbedingt in den nächsten paar Jahren sehen.
Viel vor! Ich wünsche dir dafür alles Gute und wir freuen uns schon, beim nächsten Wichteln wieder dabei zu sein!