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KL_Interview_PaulSongerIm Gespräch mit: Paul Songer
Sensorik-Experte und internationaler Cupping-Profi

Thomas Eckel lernte bei seiner letzten Ruanda-Reise den sympathischen Paul Songer als Head Judge des Cup of Excellence kennen und war sofort von seinen spannenden Ideen für neue Formen des Röstens begeistert. Im Interview sprachen wir mit ihm über guten Kaffee, wie man Geschmack zu Zahlen macht und warum Kaffee trinken Meditation sein kann.

 

Kaffee‐Love-Story

Paul, vielen Dank, dass du dir die Zeit für uns nimmst! Was würdest du als deine persönliche Kaffee-Philosophie bezeichnen?
Dass der Kunde immer recht hat (lacht) wobei zur selben Zeit viele Kunden gar nicht wissen, wie gut Kaffee sein kann. Deshalb müssen wir uns Gedanken machen, wie wir sie mit mehr und besseren Geschmackserfahrungen in Berührung bringen können und damit auch mit unserer Arbeit erfolgreicher sein können.

Was bedeutet dir Kaffee persönlich?
Es ist nicht nur ein Getränk. Kaffee macht einen ganzen Wirtschaftssektor aus und ist daneben Kommunikationsmittel für Menschen in der ganzen Welt, die per Kaffee über Grenzen hinweg in Verbindung stehen – darunter auch die weniger und die stärker industrialisierten Länder.

 

Kaffee in einem Satz

Ein Morgen ohne Kaffee ist…
(lacht) selten! Das passiert sehr, sehr selten.

Eine Welt ohne Kaffee ist…
Herrje, das brächte so viele schlimme Folgen mit sich, dass ich mir das gar nicht vorstellen mag. Die Welt wäre auf jeden Fall weniger schön!

Wie reagierst du auf schlechten Kaffee?
Ich trinke ihn ganz einfach nicht. Ich versuche höflich zu bleiben, aber trinken will ich ihn nicht!

Wie viele Tassen Kaffee trinkst du täglich?
Zählt das Cupping dazu (lacht)? Ich denke so zwischen 2 und 4.

Was denkst du über Kaffee mit Milch und Zucker?
So wie die meisten Kaffees zubereitet werden, braucht man das wohl. Ich selbst gebe maximal 1 Gramm Zucker zu meinem Kaffee. Interessanterweise habe ich festgestellt, dass die meisten Leute irgendwann Milch und Zucker aufgeben, wenn sie erst einmal Spezialitätenkaffee kennen lernen. Wenn ich anfange mit den Leuten zu arbeiten, sagen sie Dinge wie “Oh, ich mag French Roast” (eine Art sehr schnell und heiß zu rösten, sodass die Röstung dunkel, herb und ölig wird, Anm.d. R.). Aber mit der Zeit stellen sie fest, dass das gar nicht nötig ist. Ihre Geschmackswahrnehmung verändert sich komplett. Es ist vor allem eine Frage der angebotenen Qualität und dass man oft die Alternativen nicht kennt.

Welches ist dein Lieblingskaffee und deine bevorzugte Zubereitungsform?
Das ist wie mit dem liebsten Wein: Es kommt darauf an, wann man ihn trinkt. Aber ein erstklassiger Kaffee aus Guatemala oder El Salvador ist immer eine gute Wahl. Gleichsam mag ich auch die wundervollen Kaffees aus Ostafrika sehr. Meist ist es ohnehin genau der Kaffee, den ich gerade vor mir habe – solange er gut ist.

Kaffee‐Biographie

Erinnerst du dich an deine erste Tasse Kaffee?
Kaum. Ich mochte immer den Duft und so gaben mir meine Eltern mal Kaffee als ich 3 oder 4 Jahre alt war. Ich glaube sogar abends, weil aus irgendwelchen Gründen der Arzt meinte, er würde mich schläfrig machen (lacht).

Ich habe aber in der Tat mal eine Studie gelesen, die das ebenfalls behauptet!
Das ist ganz interessant: Auch ich habe eine Studie gelesen, in der man herausgefunden hat, dass nicht Koffein den Menschen nervös oder hibbelig macht, sondern dass das Koffein die Fähigkeit nimmt, die schon vorhandene Nervosität zu kontrollieren.

Du begannst deine Karriere bei Allegro (heute großes US-Kaffeeunternehmen, Anm. d. R), wo du für die Maschinenwartung zuständig warst. Was hat dein Interesse für die Kaffee- Verkostung abseits der Technik geweckt?
Es hat sich so ergeben. Ich hatte die ganze Zeit mit Kaffeemaschinen und den Allegro-Leuten zu tun. Damals hatten sie noch nicht viele Kunden, weshalb ich meine Jobs erledigte und dann Zeit hatte, selbst zu verkosten. Ich hatte mich immer für Chemie interessiert, ebenso für Lebensmittel und Sensorik. Weil das Unternehmen so klein war, kam ich daher schnell in Berührung mit den Leuten, die dort verkosteten und richtig gut waren. Als Allegro das eigene Qualitätsmanagement ausdehnte, brauchten sie mehr Leute, die sich damit auskannten. Ich gehörte zu denen, die schon da waren und ich wusste, dass ich es konnte. Und schon hatte ich den Job.

Was waren deinen wichtigsten Erkenntnisse beim Verkosten?
Eines der wichtigsten Dinge ist, dass ich gelernt habe, wie sehr die eigene Empfindsamkeit und Sensibilität vom mentalen Zustand abhängig sind. Wenn ich an den Cuppingtisch trete und schlecht gelaunt bin, merke ich das sofort bei der Verkostung: ich nehme ganz anders wahr, ich kann nicht annähernd so effektiv verkosten wie an guten Tagen. Man muss ganz bei sich sein, nur du und der Kaffee. Das ist eine der fundamentalsten Fähigkeiten beim Cupping: Ruhe einkehren zu lassen und sich zu konzentrieren.

Würdest du soweit gehen zu sagen, Cupping sei eine Art Meditation?
Ja, so wie alles eine Form der Meditation sein kann. Nimm das Beispiel Musik: Es macht eben einen Unterschied, ob das Radio im Hintergrund läuft oder ob ich mich bewusst hinsetze und ein bestimmtes Musikstück ohne Ablenkung höre. Cupping ist meiner Meinung nach sehr eng verbunden mit Meditation, die ihrerseits sehr hilfreich sein kann. Vor allem aber ist wichtig, sich auf die Geschmackserfahrung einzulassen.

Du wurdest in den 90er Jahren Technischer Leiter und Head Judge des Cup of Excellence. Was bedeutete das für dich persönlich und beruflich?
Die größte Veränderung war, dass ich sehr viel Zeit in den Anbauländern verbrachte – das war damals noch unüblich. Zum ersten Mal verkostete ich direkt vor Ort. Und das 6-10 Monate pro Jahr, was großen Einfluss auf mich hatte. Nicht nur bezüglich der Freundschaften und Kontakte, die ich schloss, sondern auch was die Offenheit gegenüber anderen Kulturen und die Anpassungsfähigkeit angeht. Außerdem stellte ich fest, dass die Arten Kaffee zu beurteilen, ihn zuzubereiten und zu verkosten, zu rösten usw. international völlig unterschiedlich waren – die Standards fehlten komplett und das machte es schwierig, verschiedene Qualitäten zu vergleichen. Wir mussten uns also ein strenges System für die Zubereitung und Verkostung ausdenken, um nicht Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Das war und ist eine Herausforderung, insbesondere weil sich Kaffee als Naturprodukt schon von sich aus dauernd verändert.

In dieser Zeit habe ich auch mit den Bauern an der Präsentation ihrer Produkte gearbeitet. Das war eine der größten Veränderungen, die Cup of Excellence bewirkt hat: Viele Leute haben verstanden, dass es nicht reicht, einfach ein paar Kaffeesträucher anzupflanzen, die Bohnen zu verschiffen und auf das Beste zu hoffen. Es braucht Qualitätskontrolle, erstklassigen Anbau und adäquate Präsentation auf dem Markt. Cup of Excellence war dabei ein wichtiges Instrument.

A propos Anbauländer: Was denkst du über die sozialen Ungleichheiten zwischen den Menschen in Anbauländern und den Kaffeetrinkern in den so genannten westlichen Ländern?
Das ist in der Tat ein großes Problem und eine Herausforderung. Fakt ist: wenn wir nicht bereit sind mehr Geld für guten Kaffee zu zahlen, bekommen wir bald keinen mehr. Schau dir Länder wie Brasilien an. 1960 machte Kaffee noch 40% der Wirtschaft aus. Heute sind es weniger als 10%, wobei Brasilien nach wie vor Weltmarktführer ist. Aber mehr und mehr wird der Kaffee direkt vor Ort getrunken, weil die Menschen der prosperierenden Mittelschicht es sich leisten können. Dort braucht man keine Leute, die per Hand für schlechten Lohn pflücken, da alles per Maschinen erledigt wird. Costa Rica ist ein anderes Beispiel, wo man aufgrund der Lage nicht maschinelle ernten kann, aber wegen der aufsteigenden Mittelklasse kaum noch einheimische Pflücker findet. Diese Arbeit wird meist von Saisonarbeitern aus Nicaragua oder Panama erledigt. Auch unter ihnen wird das irgendwann niemand mehr machen wollen, wenn wir sie nicht angemessen für die harte Arbeit bezahlen. Dazu kommt, dass die Bauern ihre Kinder lieber für bessere Jobs auf die Schulen schicken – kaum jemand möchte noch Kaffeebauer werden, wenn er damit keine Aussicht auf eine gefestigte finanzielle Zukunft hat. Letztlich aber habe ich Hoffnung, dass die Leute für wirklich wirklich guten Kaffee auch mehr zahlen werden – wir reden hier von Qualität, nicht von einem hübschen Label. Damals 1984 hätte kein Mensch mehr als 1$ für eine Tasse Kaffee bezahlt – sieh dir an, wie es heute ist! Es hat sich ganz schön viel verändert.

Kaffee-Philosophie

Was ist deiner Meinung nach die magische Formel für perfekten Kaffee?
Die lautet ganz einfach: richtig anbauen, zum perfekten Reifegrad ernten, ordentlich aufbereiten, individuelle rösten und frisch aufbrühen. Bei jedem dieser Schritte kann man dann bestimmte Geschmäcker herausarbeiten.

Was das angeht, hat Thomas Eckel in einem Gespräch mit dir erfahren, dass du dafür plädierst ganz anders als bisher zu rösten. Wie stellst du dir das vor?
Hauptsächlich geht es darum, dass die Leute eine Menge Zeit darauf verwenden, die richtigen Rohbohnen auszuwählen, aber nicht genug darauf, die richtigen Röstprofile zu erstellen. Manchmal rührt das von einem Unverständnis der verschiedenen Ergebnisse durch Röstgrade und -zeiten her. Aber vor allem geht es um richtige Produktentwicklung, darum, Potenziale voll auszuschöpfen.

Deshalb muss man den Röstprozess verstehen und wie man welche Aromen hervorbringt. Das ist aber ganz schön tricky, weil sich der Kaffee schwer kontrollieren lässt.

Was also schlägst du vor?
Man sollte mindestens drei oder vier verschiedene Proberöstungen machen, mehrfach verkosten und dann kleinschrittig die Profile anpassen, bis man genau das hat, was in dem Kaffee steckt. Das muss man aber in diesem mühseligen Prozess erst einmal herausfinden, denn anhand der Rohbohnen lässt es sich nicht erkennen. Dabei muss man überlegen, wie das Produkt am Ende schmecken soll, was dem Kunden schmeckt und wie man das erreicht.

Du arbeitest auch häufig mit statistischer Analyse. Wie kann man sich das vorstellen? Was bedeutet es, Geschmack und Genuss in Zahlen zu übersetzen?
Das ist genau die Schwierigkeit, aber auch exakt der Grund, warum wir Statistik brauchen. Jede Geschmackserfahrung ist einzigartig und anders, denn jeden Tag ist nicht nur der Kaffee sondern auch der Kaffeetrinker anders. Statistik steht also dem Problem gegenüber, dass sich dauernd alles verändert und sie versucht, das zu systematisieren: Ok, ich kann Perfektion nicht erreichen, aber wie nahe komme ich ran? Es geht darum, Erfahrung zu quantifizieren und daraus zu lernen. Bei der Produktentwicklung können solche Erwartungswerte dann helfen, Veränderungen im Geschmack einzuschätzen, zu prognostizieren und damit zu kontrollieren, indem man die Röstprofile entsprechend anpasst.

Kaffee-Zukunft

Wo wir gerade über Veränderung und Individualität gesprochen haben: Wo siehst du die größte Veränderung in der Kaffee-Welt?
Da passiert gerade, was in vielen anderen großen Marktbereichen schon passiert ist: Viele Unternehmen versuchen auf den Spezialitätenzug aufzuspringen. Starbucks war früh dabei, Nespresso versucht es, selbst McDonalds wirbt nicht mehr mit billigem sondern hochwertigem Kaffee. Aber ich glaube nicht, dass es jemals einen Marktriesen mit echtem Spezialitätenkaffee geben wird. Dagegen wird das Bewusstsein für die Beziehung zwischen Kleinbauern und Röstern größer werden.

Was kommerziellen Kaffee angeht, bin ich mir nicht sicher, denke aber, dass es auf Dauer weg vom Kaffeepulver hin zu Fertiggetränken geht. Die wahre Innovation wird aber immer von den kleinen Röstereien ausgehen, und von den Menschen, die wirklich guten Kaffee zu schätzen wissen.

Welchen Tipp gibst du unseren Lesern für die ultimative Geschmackserfahrung?
Jeder brüht anders auf, ich am liebsten mit der French Press. Grundsätzlich geht es um Einfachheit: guter Kaffee, gutes Wasser, gutes Aufbrühen. All’ die schicken Neuerungen der letzten Jahren verschwanden schnell wieder in der Versenkung, der schlichte, intensive Filterkaffee aber bleibt beliebt wie eh und je.

Das Interview führte Carolin Zieringer

 

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