Ehrliche Antwort? Was weiß denn ich!
Wobei Sie diese Antwort vermutlich nicht zufrieden stellt. Genau betrachtet ist Sie nicht einmal wissenschaftlich fundiert. Also verdient Sie eine gastrosophische Analyse, diese wäre dann sowohl wissenschaftlich als auch multidisziplinär.
Der italophile Ansatz
Das erste wirkliche Reiseland der Deutschen ist seit den 50er Jahren Italien. Dort lauerte auch eine völlig neue Art der Kaffeezubereitung, der Espresso aus der Siebträgermaschine. Serviert in einer dicken, vorgewärmten Tasse, ausgestattet mit dem ersten Fachwort im italienischen Sprachschatz der Deutschen, der Crema. Als sensorische Eigenschaft bringt dieser Espresso eine gewisse Cremigkeit mit sich, aber eben auch diesen typisch italienischen Geschmack, dieses röstig-rauchige, diesen „Bumms“ des Robusta-Anteils in der Bohnenmischung. Wenn Sie jetzt diesen Caffè vor sich haben, dann gleichen Sie ihn wohl mit dem Idealbild eines Espressos ab, das Sie aus diversen Italienreisen mitgebracht haben. Dieser „kleine Schwarze“ erinnert Sie eventuell an den „God Shot“, an diese überwältigende Geschmacksexplosion, die Ihr erster korrekter Caffè im Mund ausgelöst hat. Folglich schätzen Sie dieses Getränk aus italophilen Gründen.
Das Theorem des „gesunden Halbwissens“
Sie befassen sich aus einem Grundinteresse heraus mit Kaffee. Sie sind neugierig, deshalb lesen Sie in Zeitschriften alle Artikel über Kaffee. Sie interessieren sich für Packungsaufschriften und Bohnenbeschreibungen. Und jetzt sitzen Sie in einer Kaffeebar und haben einen „Kaffee des Monats“ in der Tasse; auf einer Tafel steht „100% Arabica, Zimbabwe, körperreich, Milchschokolade, Nüsse, Johannisbeere“. Ein Schlüsselwort: „100% Arabica“! Jetzt kombiniert Ihr Gehirn diese Information mit bereits erworbenem Wissen und irgendwo in den Windungen taucht die Zeile „Arabica steht für hohe Qualität“ auf. Ein Treffer! Also muss dieser Kaffee gut sein. Er schmeckt Ihnen, und das ist auch gut so.
Die „Wahrheit der Tradition“
Diese lässt sich am schnellsten erklären. Ihre Oma hat schon Kaffee der Marke X getrunken, Ihre Mutter auch und Sie machen es jetzt genauso. Traditionsbewusstsein halt. Und wenn Sie wissen, dass in der Tasse vor Ihnen die Marke X auf Sie wartet – heiß und erinnerungsvoll duftend – dann schmeckt Ihnen dieser Kaffee auch.
Die „subjektive Macht des objektiven Urteils“
Jetzt wird es ein bisschen schwieriger mit einer Erklärung. Dieses eine Mal „trinken“ Sie Ihren Kaffee nicht, nein, Sie verkosten ihn. Und das nicht alleine, sondern unter Anwesenheit eines ausgewiesenen Kenners und Fachmanns. Achtung, wir begeben uns in das Gebiet der Scharlatane und Gurus! Aber Sie haben Glück, ein echter Fachmann, z.B. ein Q-Grader, führt Sie durch Ihre Tasse Kaffee. Er erzählt Ihnen etwas über Herkunft, Aufbereitung, über den Kaffeebauern und die Varietät der verwendeten Bohnen. Er erklärt Ihnen die typischen Kaffeearomen, die, in diesem Fall etwa für Afrika stehen. Kurzum: Er erzählt Ihnen eine fachgerechte, fundierte, objektive Geschichte über genau diese Tasse Kaffee. Er schmückt nichts aus, lässt jegliche persönliche Färbung weg – Sie werden diesen Kaffee lieben. Aus einem einfachen Grund: Ihr Unterbewusstsein projiziert die erhaltene Information auf das Heißgetränk und sucht nach Eigenschaften, die, qua Beschreibung, in Ihrem Kaffee enthalten sind. Zugleich ergänzt es eventuell fehlende Informationen, in dem es Begriffe assoziiert. „Fruchtig“ (Wieso sollte ein Kaffee nach Obst schmecken?) z.B. mit der Vorstellung von Johannisbeeren. Und Ihr Unterbewusstsein kommt somit zu einem sehr simplen Schluss: „Stimmt – der Mann hat Recht!“ Basierend auf diesem Phänomen schmeckt Ihnen dieser Kaffee.
Der „Leitsatz der Multisensorik“
Jetzt wird es endgültig wissenschaftlich. Kaffee besteht zu 98% aus Wasser, darin gelöst sind u.a. die Aromastoffe, die wir am Kaffee so lieben. Sie wollen angeben? Okay, 800 Aromakomponenten wurden bisher identifiziert, ca. 200 warten noch auf ihr Coming Out. Damit ein Aromamolekül bei ihnen einen Geschmacks- oder Geruchsreiz auslösen kann, muss es a. gelöst oder gasförmig vorliegen, und b. an eine Rezeptorzelle andocken. Dann wird ein Reiz ausgelöst, der im Gehirn wiederum durch eine Empfindung bildhaft wird wie z.B. schokoladig oder salzig. Dazu kommen Reize über den Trigeminus-Nerv, der u.a. für heiß, kalt und scharf zuständig ist.
Dieser Nerv umfasst Ober- und Unterkiefer und sammelt Informationen aus der gesamten Mundhöhle. Und: Beim Schlucken werden zusätzliche, neue Aromakomponenten über den Rachenraum von hinten in die Nase gespült, die sogenannte retronasale Wahrnehmung. Und wenn diese Informationen in Ihrem Gehirn ein stimmiges, also angenehmes, Gesamtpaket ergeben, dann schmeckt Ihnen der Kaffee. Gehirnmäßig bedeutet dies: adäquate Trinktemperatur, langanhaltend, Nüsse, Milchschokolade, getragen von kleinen Fruchtsäurespitzen.
Ihr Gehirn stellt dazu noch den Umfeldkontext her. Die Augen sehen ein belebtes Kaffeehaus, leere Kaffeesäcke, Ihnen angenehm erscheinende Personen, durch ein Fenster fallen Sonnenstrahlen. Über das Ohr nehmen Sie angeregte Unterhaltungen war, keine schrillen Stimmen, Sie verbinden es mit fröhlichem Geplauder. Ihre Erfahrungen in der Interaktion mit anderen in diesem Umfeld sagen Ihnen, dass Sie durch einen spontanen Ausbruch an Emotion keine sozialen Restriktionen befürchten müssen. Dieses Soziologen-Deutsch meint nichts anderes als: „Du darfst zufrieden brummen und Dir noch eine Tasse Penya Crake holen. Du bist in der Murnauer Kaffeerösterei.“